Rezensionen

Der Geist der armenischen Musik

„… Auf dem Programm standen demnach Werke Narine Khachatryans für unterschiedliche Besetzungen, aber auch traditioneller Lieder vergangener armenischer Komponisten. Eine wunderbare Gegenüberstellung, denn wie es in der Moderation von Stella Ghambaryan hieß: Für Khachatryan sei die armenische Musik, vor allem, die geistliche, die Nabelschnur ihrer Kompositionen. Und das könnte man absolut nachvollziehen; und viel mehr sogar: Die Musik der zeitgenössischen Komponistin wurde so erst recht verständlich. So öffneten traditionelle und geistliche Lieder unter anderem des Begründers der armenischen Klassik Komitas Vardapet oder des mittelalterlichen Mönchs Grigor Narekatzi die Ohren für die hörbare Weite und Ruhe einer grünen armenischen Berglandschaft oder für den typischen tetrachordischen, stark melismatischen Tonvorrat. Gesungen hat diese Lieder Narine Khachatryan selbst, begleitet von Carl Seebode an der Orgel.

Beim Eröffnungsstück „Diskurs a4“ Streichquartett Nr.1 zeigte das Zentaur Quartett mit Katharina Schmauder, Annette Fritz, Marc Kaufmann und Caio de Azevedo auf eine klanglich sehr feinfühlige, homogene und begeisternde Art, wie das Thema, das die Viola anfangs vorschlug, zum Diskurs wurde. Der Landschafts-äquivalente Kontrast von lichtdurchfluteten Stellen mit Haltetönen in der hohen Diskantlage und erdiges Atmen der untersten Saiten zog sich wie hier durch sämtliche Kompositionen Khachatryans.

Das zweite Streichquartett wirkte thematischer. So bereitete im ersten Satz eine sehr harmonische Wende im sonst freitonalen Stück eine Passage vor, in der Narine Khachatryan Komitas Vardapet zitierte; Katharina Schmauder sang hier als erste Violine aus dessen Heiliger Messe, „Jesus Christus, du allein bist der Herr…“. Gesungen hat an diesem Abend auch der Pianist Dmitri Romanov in der Uraufführung von „Reflections“ für Klavier solo. Auch durch diesen textlosen Gesang wirkte das ganze Werk wie eine Art klangliche Meditation. Seufzer-Sekunden, Akkordbrechungen und die Lagen des Klaviers reflektierten abermals Lichtstrahlen und Grabestiefe.

Seine Virtuosität stellte Romanov in der „Toccatta“ bei schwindelerregenden Sprüngen und Läufen heraus, die er mit Bravour meisterte. Dieses Stück wie auch „Aquarell“ für Klavier solo hatte Narine Khachatryan mit erst 18 Jahren komponiert.

Eine weitere Uraufführung zeigten die zwei klanglich berührenden Cellisten Philipp von Morgen und Graham Waterhouse mit den „Variationen“, bei denen ein klar vorgestelltes Thema stark rhythmisch und melodisch variiert wurde.

Den krönenden Abschluss bot das Stück „Lacrima“ für 13 Streicher im Fünf-Viertel-Takt, wobei sich die dreizehn eigenständigen Stimmen phasenweise zu homogenen Gruppen formierten… „Lacrima“, lateinisch für die Träne, hörte man in der Tragik, bei kreischenden, weinenden Geigen, Seufzer-Sekunden und dann: Ein sanftes Ende eines Konzertabends, der zum Hinhören und Innehalten anhielt

* Denise Maurer, Neue Musikzeitung, November 2019

* Lokal-Anzeiger für den 24. Stadtbezirk, 12. Juli *2019, Folge 14

Narine Khachatryans Kammermusik (2007) für Oboe, Fagott, Violoncello und Klavier _ Expressiv-atonaler Stil. Gut fassliche, im Satzbild lockere polyphone Gestaltung anhand stark individuierter Instrumentalparts. Vorwiegend herkömmliche Spielweisen mit wenigen, aber wirkungsvoll gesetzten Ausnahmen (Mikroglissandi, Multiphonics Clustern, Klavierresonanz)… Aparte Besetzung, mit der alle Register farbenreich ausgeleuchtet werden. Die Sehnsucht nach der Heimat Armenien mit ihren elegischen beziehungsweise scharfen Klängen von Duduk beziehungsweise Zurna wird bis zum kargen Abgesang in diskursiver Lebendigkeit und auf gänzlich unsentimentale Weise erfahrbar.

* Michael Zwenzner, Neue Musikzeitung, März 2019, Seite 12

Ein aufgehender Stern am Komponistenhimmel ist die aus Eriwan stammende und in Deutschland wirkende Narine Khachatryan (geb. 1979). In ihrem Opus für vierstimmigen Jugendchor verwendet sie Texte aus dem fünften Jahrhundert. Ihre Klangfolgen schichtet sie dabei auf modalem Grund auf und setzt einstimmige Melismen dagegen. Der Kammerchor des Pestalozzi-Gymnasiums München unter der Leitung von Andrea Görgner brachte dieses hochartifizielle und sensible Werk eindrucksvoll zu Gehör. Musik für Kinder? Musik für Jugendliche? Ja, für kultivierte Jugendliche in der Schwermutsphase.                 

                                                                                          * „Nordwind und Schmetterling“ Gertrud Firnkees, Neue Musikzeitung, Februar 2009

Die armenische Fraktion war ziemlich stark an diesem Abend mit Neuer Musik im Münchner Tonkünstlerverein. Dabei bestand sie nur aus Narine Khachatryan. Alle drei Werke der Komponistin aus Eriwan atmeten eine filigrane Sinnlichkeit, die in der Avantgarde ihresgleichen sucht. In der Uraufführung „Der Herr ist mein Licht“ für Streichquartett und Mezzosopran (mit leuchtender Tiefe: Stefanie Früh) faszinierten untergründiges Melos und unerhörte Klangspezereien auf dem Wort „Gott“, bevor sich die Musik geisterhaft im fast Unhörbaren verlor…

                                                                                                         * Klaus P. Richter, Süddeutsche Zeitung: Klangspezereien, Donnerstag 15. Februar 2009

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„Streichquartett mit einem geistlichen Text aus den Psalmen. Expressives, klangintensives Werk. Das Material ist aus einem armenischen Lied abgeleitet. Einsätzig, mit leicht variablen Tempi. Mischung von flächig-homophonen Klängen und kleingliedriger Melodik in zumeist engen Intervallen. Die 1979 in Armenien geborene und in Deutschland lebende Komponistin schlägt mit diesem bekenntnishaften Stück ungewöhnliche Wege ein.“

                                                                                                                         * Max Nyffeler, Neue Musikzeitung, Dezember 2011/Januar 2012